Wie kann Kirche Ehrenamtliche gewinnen?

Wie kann Kirche Ehrenamtliche gewinnen?

Zu dem anspruchsvollen Fortbildungsprogramm, dass die beiden südwestdeutschen Kirchen in Baden und Württemberg in Verbindung mit der SINUS-Akademie (Peter Martin Thomas) und dem Tangens-Institut für Kulturhermeneutik und Lebensweltforschung (Heinzpeter Hempelmann) etabliert haben, gehören neben den halbjährlich stattfindenden Multiplikatorenschulungen für Milieuberater/innen auch Studientage. Diese suchen die Lebensweltperspektive für spezielle Fragen fruchtbar zu machen.

Am 7.7.2016 fand im Forum Hohenwart eine Begegnung statt, deren Thema „Motivieren zum Ehrenamt“ neben Theologen auch „ganz normale Menschen“ und neben Schwaben und Badenern auch Interessierte von weiterher angezogen hat. Bemerkens- und berichtenswert ist aus meiner Sicht:

  • Das starke Echo zeigt, wie sehr hier den Kirchen, und wie die Aussprache deutlich machte, auch anderen gesellschaftlichen Institutionen der Kittel brennt. Einerseits funktionieren viele Bereiche in unserer Gesellschaft nicht ohne Mitarbeit von Ehrenamtlichen, andererseits wird es immer schwerer, Menschen fürs ehrenamtliche Engagement zu gewinnen. Präziser gesprochen: Menschen mit den üblichen, klassischen Argumenten zu gewinnen.
  • Hier setzte die Tagung an. Kerngedanke: Die Gesellschaft differenziert sich auch hinsichtlich des ehrenamtlichen Engagements aus. Wenn wir Menschen für ehrenamtliche Mitarbeit gewinnen wollen, müssen wir ernstnehmen, wie unterschiedlich die Motivationen sind, die Menschen bereit machen, sich für den Nächsten und das Gemeinwohl einzusetzen. Die lebensweltliche Ausdifferenzierung zieht nach sich, dass Argumente, die für eine konservativ-etablierte Persönlichkeit Motiv genug sind, einen Adaptiv-Pragmatischen noch lange nicht ansprechen. Wer gewinnen will, muss die jeweilige Lebensweltlogik derer, die er gewinnen will, ernst nehmen und von ihr her denken. Dann zeigt sich, dass der benefit eben höchst unterschiedlich ist.
  • Es zeigt sich aber auch, dass schon auf der Ebene der Sprache und der verwendeten Begriffe „das Problem beginnt“ bzw. greifbar wird. Ehre und Amt gehören zum aktiven Wortschatz vieler Jüngerer einfach nicht dazu, sind vielmehr einer verschollenen, nicht mehr zugänglichen mentalen Welt. Auch der Begriff der „Freiwilligenarbeit“ löst vielfach verfehlte Assoziationen und nicht nur angenehme Konnotationen aus. MaW., das Ehrenamt für alle Milieus gibt es gar nicht, sehr wohl aber verschiedene Möglichkeiten, Menschen auf ihr Engagement für andere anzusprechen: Da stehen dann neben der klassischen Sachspende, Geldspende oder Ressourcenspende in traditionsorientierten Milieus die Bereitschaft von Expeditiven, auf dem Gemeindefest den Kirchturm hochzuklettern, von Performern, ihr Orga- und Admintalent kostenlos in ein Projekt einzubringen, bei dem sie zeigen können, was sie können; von Adaptiv-Pragmatischen, etwas zu tun, was (auch) den eigenen Kindern einen handfesten Nutzen bringt.

(Weitere Infos:

  • MDG-Milieuhandbuch 2013. Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus, im Auftrag der MDG Medien-Dienstleistung GmbH, Heidelberg / München 2013;
  • Heinzpeter Hempelmann/ Karen Hinrichs/ Ulrich Heckel/ Dan Peter (Hrsg.): Auf dem Weg zu einer milieusensiblen Kirche. Die SINUS-Studie „Evangelisch in Baden und Württemberg“ und ihre Konsequenzen für kirchliche Handlungsfelder, Neukirchen 2015 [Kirche und Milieu Bd. 2], 131-140)