Milieuunterscheidung und Telefonseelsorge –
macht das Sinn? Lebt die Lebensweltforschung und – sensibilisierung nicht davon, daß man die Menschen, die outfits, die Wohnzimmer, die Lebenswelten sieht, die man unterscheiden will, um besser kommunizieren zu können? Genauso habe ich auch gefragt, als ich von einer großen regionalen Telefon-Seelsorge eingeladen wurde, einen Studientag zum Thema zu gestalten. Das Treffen, bei dem ich selber sehr viel gelernt habe, brachte ein mehrfaches Ergebnis:
(1) Milieuforschung und Milieuunterscheidung kann auch da helfen, wo man es zunächst nicht erwarten würde. Die Differenzierung verschiedener Lebenswelten macht auch da Sinn, wo man die Menschen, mit denen man spricht, nicht vor sich sieht. Das Kommunikationsverhalten von Menschen, ihre Sprache und Artikulation, ihr Wortschatz und ihre Tonalität ist ja nicht unabhängig von ihrer Lebenswelt, sondern Teil ihrer lebensweltlichen Prägung. Es gilt das biblische Wort: „Deine Sprache verrät Dich!“ (Mt 26,73). Die Sprechweise kann gepflegt und koordiniert oder ungepflegt und gebrochen, unvollständig sein, die Aussprache hochdeutsch oder mundartlich, mit regionaler Prägung, der Wortschatz kann groß sein oder eher beschränkt; wir finden subkulturelle Semantiken oder ausgeprägtes „Denglish“. Auch die Themen und Anliegen schlagen sich in den beherrschenden semantischen Feldern (Normen, Geld, Beziehungen etc.) wieder. Sprache und Redeweise, die Art und Weise der Kommunikation – all das läßt ziemlich präzise Rückschlüsse auf die jeweilige Lebenswelt der Anrufer zu. Eine solche Zuordnung hilft aber umgekehrt, mit dem Gegenüber besser, weil angemessener zu kommunizieren. Erwartet mein Gegenüber Trost oder Ratschläge, ist er selber schlau und will nur jemanden, der ihm zuhört; will er oder sie diskutieren oder ist die gängige Spiegel-Methode Fehl am Platz, weil jemand sich danach sehnt, auch einen vergewissernden Impuls zu bekommen?
(2) Gerade die Reflexion der Kommunikationsprozesse machte dann deutlich: Auch die Milieuzugehörigkeit der Mitarbeiter/innen der Telefon-Seelsorge (= TS) ist von Belang. Wir stoßen durch unsere mitgebrachten Einstellungen und Konzepte, um von den Distinktionsschranken und Ekelgrenzen ganz zu schweigen, sehr schnell an unsere eigenen Grenzen. Immerhin erlaubt es die Milieuperspektive, diese zu artikulieren und dann ggf. auch Gespräche zu delegieren.
(3) Und noch ein letztes, wie ich finde ebenso interessantes wie hilfreiches Ergebnis: Es gibt Milieus, die den Service der Telefon-Seelsorge in Anspruch nehmen, und solche, die in der Kommunikation der TS kaum vorkommen. Will TS ihre Reichweite erweitern, müßte sie darüber nachdenken, ob sie vielleicht auch in andere, alternative Medien vorstößt. Der Gebrauch des Telefons ist heute für viele nicht mehr das Medium der Wahl. Telefon-Seelsorge in social media, in anonymen chat-rooms, über Facebook und Whatsapp. Ist das ein Desiderat für einen segensreichen und notwendigen Service, der zukunftsfähig bleiben will?