Gebet und kultureller Wandel

In der letzten Beilage „Christ und Welt“ der Wochenzeitung DIE ZEIT (2016/31) findet sich ein Artikel zum Thema „Erhöre uns!“ von Laura Diaz. Ihm liegt auch ein Interview mit Heinzpeter Hempelmann zu Grunde. Für mich war die Überzeugung leitend, dass vor allem die Megatrends Individualisierung und Pluralisierung sich auch auf dem Feld praktizierter Religion und im konkreten Vollzug christlichen Glaubens niederschlagen. Ritualisierte Frömmigkeit tritt in ihrer Bedeutung zurück, experimentelle, freie Frömmigkeit nimmt zu. Das Alte, ehemals Dominante verschwindet nicht völlig, wird aber zu einem Erscheinungsbild unter anderen. Religionsphilosophisch bedeutet das nicht eo ipso, dass Religion nur eine Funktion menschlichen Selbstverständnisses, Frömmigkeit eine Expression jeweiliger Befindlichkeit ist. Wir stehen vielmehr vor einem Phänomen, auf das wir schon im Alten und Neuen Testament und in der Geschichte des Christentums treffen: Vitale Religion eignet sich die wechselnden soziokulturellen Formate an und durchdringt sie. Theologisch gesprochen: Der Geist Gottes verwandelt sich die jeweiligen kulturellen Formate an, „inkarniert“ sich in sie,- nicht ohne sie auch zu verändern. Man muss dann nicht sofort „Abfall“, „Verfall“, „Verlust des Christlichen“ rufen, wenn man auf solche Adaptionsprozesse trifft, sondern kann diese auch positiv im Sinne eines zeitgemäßen Christentums deuten, das vielleicht in den Tranformationsprozessen auch wieder Ursprüngliches entdeckt und stärker unterstreicht: Gehört es nicht zum Gebet, dass es als das Allerpersönlichste zwischen mir und Gott hochindividuell und phänomenologisch demgemäß immer vielgestaltig war?